Dr. Helbig & Partner Studien
 
Wenn das Handy Japanisch spricht


 
Innovative Sprachtechnologie

 
Das Handy als mobiler Übersetzer. Realität oder Fiktion? Die Kommunikation der Zukunft lässt sich dadurch optimieren.

 
LOTHAR LOCHMAIER

HANDELSBLATT, 6.2.2002

Stellen Sie sich vor, Sie reden auf Deutsch in Ihr Handy und am anderen Ende hört Ihr japanischer Gesprächspartner Sie in seiner Muttersprache“, erläutert Reinhard Busch. „Heute noch eine Vision, aber den ersten Meilenstein haben wir bereits erreicht“, erklärt der Geschäftsführer des Münchener Unternehmens Linguatec. Den ersten E-Translation-Server, auf dessen Datenbank der Nutzer nicht nur über den PC via Intra- und Internet zugreifen kann, sondern auch mit jedem beliebigen Handy via Wap oder SMS, hat Linguatec bereits vorgestellt.

Der Traum vom intelligenten und zugleich sprechenden Computer ist wieder etwas näher gerückt. Vor knapp zwei Jahren ging „Verbmobil“, ein groß angelegtes Leitprojekt der Sprachtechnologieforschung unter der Ägide des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz nach siebenjähriger Laufzeit zu Ende. Nachdem in der ersten Projektphase Terminverhandlungen zwischen einem deutschen und japanischen Gesprächspartner sprachlich verarbeitet wurden, stand in der zweiten Phase die Bearbeitung von 2 500 Wörtern des deutsch-japanischen Grundwortschatzes für „robuste und spontansprachliche Dialoge“ wie Reiseplanung, Hotelreservierung und Versandhandel im Mittelpunkt. Erstaunliches Ergebnis: Beim Versandhandel lag das Verbmobilprojekt im internationalen Vergleich der Sprachdialogsysteme mit einem von Panasonic adaptierten System mit einer Wortfehlerquote von nur drei Prozent ganz vorne.

Ist es also nur noch ein kleiner Schritt, bis die interkulturelle Sprachbegegnung auch via Handy möglich ist? Derzeit tauchen Mobile Translation Services erst sporadisch auf dem Radarschirm der IT-Marktanalysten auf. Thorsten Wichmann von Berlecon Research, einem Berliner IT-Marktforschungsinstitut, ist noch skeptisch, was die erfolgreiche Umsetzung der Sprachdienste angeht. „Ganze Sätze eintippen und über die Handy-Tastatur übersetzen zu lassen, ist kompliziert und verlangt teure Übersetzer auf der Seite der Sprachdiensteanbieter.“ Nach Einschätzung von Wichmann sind die derzeit verfügbaren maschinellen Übersetzungstechnologien noch nicht marktreif fürs große Mobile Business.

Im Wettlauf um die nach der UMTS-Einführung neu entstehenden Absatzchancen der mobilen Sprachtechnologie sind nach Einschätzung von Thomas Helbig, Unternehmensberatung Dr. Helbig & Partner in Hamburg, insbesondere Anwendungen in den Bereichen Reise, Schule und Ausbildung sowie professionelle Fachwörterbücher denkbar. Den Anfang hat Marktführer Langenscheidt mit einem umfangreichen Nachschlagelexikon, das via SMS-Handy abrufbar ist, bereits gemacht. Mobil abgerufen werden können auch Kartenwerke über Palm und Windows CE. „Entscheidend für den zukünftigen Erfolg der mobilen Übersetzungsdienste ist jedoch die Bereitschaft der Kunden, solche Angebote zu nutzen“, dämpft Thomas Helbig die noch vor einem Jahr durch hohe Aktienkurse genährte Euphorie mancher Sprachsoftwareanbieter.

Diese gerieten in eine tiefe Krise, als beispielsweise der belgische Weltmarktführer für Sprachtechnologie Lernout & Hauspie in ein bis heute anhaltendes dunkles Börsenloch fiel. Thomas Helbig sieht eine höhere Bereitschaft beim Handy-Nutzer, auf bezahlte Content-Modelle umzusteigen als beim PC-Nutzer: „Gute Aussichten haben vor allem die Fachverlage wie Langenscheidt und Pons sowie Sprachinstitute wie Berlitz, die über das entsprechende Potenzial verfügen, um Marktsynergien zwischen alten und neuen Märkten zu schaffen.“

In der Riege etablierter, professioneller Übersetzungsfirmen herrscht neben einer durchaus vorhandenen Begeisterung über die Möglichkeiten mobiler Sprachdienste noch große Skepsis vor. Wolfgang Sturz, Inhaber und Geschäftsführer der Transline-Gruppe in Reutlingen, eines der größten deutschen Unternehmen für Übersetzung und technische Dokumentation: „Das Geheimnis einer guten Übersetzung liegt in dem idealen Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine.“

Nach Auffassung von Sturz liegt die Zukunft des Handys, das Japanisch spricht, in der optimalen Ergänzung von automatisierten Prozessen und menschlichem Übersetzungs-Know-how. „Der Königsweg besteht darin, beides sinnvoll zu ergänzen. Ich kann mir kaum vorstellen, in Japan Sushi mit einem virtuellen Handyübersetzer zu bestellen. Wozu hat man Hände, Füße und ein bisschen Phantasie?“

Trotz zurückhaltender Marktprognosen werden bereits heute Kommunikationsexperten neue Visionen entwickelt. So arbeitet das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart bereits an der ersten Version des offenen XML-Transaktionsstandards „Opentrans“. Damit können Geschäftsdokumente bald vollstandardisiert zwischen Großunternehmen ausgetauscht werden. Ziel ist die Entwicklung einer E-Business-Software für die Handynutzung.

HANDELSBLATT, Mittwoch, 06. Februar 2002, 00:01 Uhr